Filippinis Biografie war bislang weitgehendst unbekannt. Wir wussten von seinen veröffentlichen Kochbüchern. Aber aus dem persönlichen Bereich waren nicht einmal Geburts- und Sterbedaten gesichert, und die wenigen gastronomiegeschichtlichen Bücher und einschlägigen Websites enthalten fast durchwegs falsche Angaben zu seiner Wirkenszeit bei den Delmonicos. Nach langen Recherchen in Archiven und in der New York Public Library lässt sich sein Leben und Werk nun aber zumindest skizzenhaft darstellen.
Geboren wurde Alessandro Filippini am Silvester 1849 in
Ariolo im Tessin. Kaum ein Teenager, konnte er in Lyon an einer der berühmten Kochschulen
das Küchenhandwerk erlernen. Dort stellte er sich so geschickt an, dass er gleich
als Lehrer angestellt wurde, und er seine Schulgebühren statt durch Bezahlung
durch Arbeit leisten durfte. Nach kurzen ersten Berufserfahrungen in
Deutschland und in der Schweiz brachte ihn der Ozeandampfer „Ville de Paris“
von Le Havre am 5. Juni 1866 nach New York. Er klopfte bei seinen Landsleuten
an, und wurde auf der Stelle in den Küchendienst der Delmonicos übernommen. Es
herrschte das strenge Regiment von Charles Ranhofer, einem Franzosen, der seit
1862 die Küchen der verschiedenen Delmonico-Restaurants in New York führte.
Filippini arbeitete sich schnell hoch und nahm mehrere Funktionen gleichzeitig
wahr: Als Chefeinkäufer besuchte er jeden Morgen um 3 Uhr die New Yorker
Märkte, um die besten Zutaten zu sichern, und als Manager von verschiedenen
Delmonico-Restaurants pflegte der den Kontakt zu den illustren Gästen. In der
Zeit von Ranhofer und Filippini wurden die Delmonico-Restaurants zum Treffpunkt
der New Yorker High Society, wo sich Bankiers und Eisenbahnmagnaten wie die
Vanderbilts und Morgans gerne mit Literaten wie Oscar Wilde oder Charles
Dickens und mit Stars und Sternchen aus der Theaterwelt sehen liessen. Diese
Gäste waren anspruchsvoll und verlangten stets nach neuen kulinarischen
Kreationen, an denen Filippini als Küchenchef mitwirkte. Es entstanden
Gerichte, die in das kulturelle Erbe der amerikanischen Küche eingingen: Neben
dem Delmonico-Steak und den Delmonico-Kartoffeln gehören zu den heute noch bekanntesten
wohl der Hummer à la Newberg und die Süssspeise Baked Alaska (ursprünglich
Alaska Florida getauft).
Ab 1855 begann Filippini, als erster überhaupt die Gerichte
der Delmonico-Küchen systematisch zu sammeln. Nach fünfjähriger Arbeit
publizierte er 1889 im Verlag von Mark Twain „The Table – The Delmonico Cook
Book“ mit über 1'500 Rezepten und Menuevorschlägen für jeden Tag im
Kalenderjahr. Das Buch wurde entgegen den Befürchtungen von Mark Twain zum
Erfolg. Die Presse feierte ihn, und 1891 eröffnete er am Broadway sein eigenes
Restaurant. Drei weitere Kochbücher folgten, doch das Geschäft lief schlecht.
Er musste sein Lokal nach knapp zwei Jahren bereits wieder schliessen und
Konkurs anmelden.
Über die nächsten Jahre in Filippinis Leben ist nichts bekannt,
bis er um 1898 eine neue Anstellung fand. Und was für eine. Die Presse
berichtete darüber mit Schlagzeilen wie „Eine einmalige Berufung“ oder „Ein
ungewöhnlicher Job wie kein anderer auf der Welt“: Filippini wurde reisender
Inspektor der International Navigation Company, der grössten amerikanischen
Reederei, zu der etwa die Red Star Line und die White Star Line gehörten. Seine
Aufgabe war es, die Gastronomie der Ozeandampfer grundlegend zu erneuern. Er
begab sich ohne Voranmeldung auf die Schiffe, inspizierte die Bordküchen und
modernisierte Zubereitung und Service der Speisen, sehr zum Wohlgefallen der
Passagiere. Seine Reisen rund um die Welt gaben ihm einen einmaligen Einblick
in die Küchen Europas, Asiens und des Nahen Ostens, stets auf der Suche nach
authentischen Rezepten der Landesküchen. Wie abenteuerlich seine Suche nach den
echten lokalen Rezepten war, schildert Filippini mit einem Beispiel aus China:
„Niemand hatte mich gewarnt, wie gefährlich es für einen Reisenden war, ohne
Begleitung die Stadt Guangzhou zu betreten. Kühn wagte ich mich eines Morgens
in die Altstadt. Zu Beginn wurde ich von Passanten bloss rüde angerempelt, doch
die Beleidigungen steigerten sich, bis ich von einer wachsenden Horde durch die
engen Gassen verfolgt wurde. Meine Neugier hatte offensichtlich zur irrigen
Annahme geführt, ich sei ein Eintreiber von Kriegssteuern im Zusammenhang mit
dem Boxer-Aufstand“. Filippini konnte sich retten, und 1906 veröffentlichte er
sein letztes Werk, „The International Cook Book“, mit über 3'300 Rezepten, das
über seinen Tod hinaus mehrere Auflagen erreichte.
Nach seinem letzten Erfolg wurde es still um Filippini, und
auch über sein Privatleben ist nur wenig bekannt. Er lebte zurückgezogen in New
York, zusammen mit zwei Schwestern und einem Bruder, die ihm aus dem Tessin in
die Vereinigten Staaten gefolgt waren. Er blieb Junggeselle, doch aus der
Beziehung mit einer siebzehn Jahre jüngeren Witwe eines anderen Tessiner
Auswanderers entspross eine Tochter, mit der sich die Spuren des grossen
Schweizer Kochs verlieren. Alessandro Filippini starb vor 100 Jahren, am 8.
Dezember 1917 in New York City. Keine der lokalen Zeitungen nahm davon Notiz.
Das unerbittliche New York hatte den Schweizer schon vergessen, dem wir die
Überlieferung der Küchengeheimnisse des berühmten Delmonico’s zu verdanken
haben.
Kann 1855 nic gesammelt haben, da erst 6jährig....
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