Risotto nach dem Rezept von Giuseppe Verdi |
Risotto steht, natürlich, auf der ganzen
Welt für ein Mailänder Reisgericht. Heute so gut wie unbekannt ist,
dass im 19. Jahrhundert ‚Risotto’ in einer völlig anderen Bedeutung auch ins umgangssprachliche
Vokabular des Mailänder Musiklebens Eingang gefunden hat. Der Korrespondent der Allgemeinen
Musikalischen Zeitung, erschienen im Verlag Breitkopf & Härtel, berichtet
in der Ausgabe vom 20. November 1822 über die Opernsaison in Mailand:
„Rossini’s Matilde Shabran war unsere erste diessjährige Herbstoper, und fiel ganz durch, weil wir diese und ähnliche Musik schon aus andern Opern desselben Componisten kennen, und daher auch mit den besten Sängern kein besserer Erfolg zu erwarten war. Bald nachher ging die neue Opera semiseria: Adele ed Emerico, von Mercadante, in die Scene (...). Der Componist wurde am ersten Abend dreymal von seinen zahlreichen Freunden und von den Risottisten hervorgerufen. (...) In den folgenden zwey Abenden wurde ihm diese Ehre bloss einmal zu Theil, und der ganzen Oper erging es nachher wie der vorhergehenden – das Haus war immer leer.“
Wer oder was sind denn „Risottisten“, fragt man sich. Der Korrespondent erklärt es seinem deutschen Publikum in einer Fussnote:
„Der hier im Land sogenannte Risotto ist eine aus Reis zur dichten Consistenz verschiedenartig zubereitete Leibspeise der Mailänder. Will man also den Beyfall im Theater erkaufen, so bezahlt man gewissen Leuten nebst dem freyen Eingangsbillete auch einen Risotto, welches so viel sagen will, als ein gutes Glas Wein. Erhält nun der Componist, Sänger u.s.w. vielen, aber unverdienten Beyfall, so sagen gewöhnlich die hieran keinen Antheil nehmenden Zuhörer: quanto risotto! oder zeigen dieses mit besondern, den Italienern ganz eigenen Geberden an.“
Ausschnitt aus der Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom 20. November 1822
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Dass der Begriff ‚Risotto’ sich in Mailand in
dieser Bedeutung über längere Zeit hielt, belegt die Gazzetta
Musicale di Milano vom 30. Oktober 1870 im Beitrag des Korrespondenten aus
Florenz, der über eine Aufführung der Oper Camille
von Ferdinand Paër (1771-1839) berichtet: „Eine Nummer wurde wiederholt, dreien oder vieren aufrichtig applaudiert, fünf oder sechs vom Risotto gehalten (wie ihr in Mailand sagt); die restlichen gingen getrieben durch“ („Un pezzo fu replicato, tre o quattro
applauditi sinceramente, cinque o sei sostenuti dal risotto (come dite voi a Milano); gli altri passarono fra l'uscio e
il muro“).
Wir wissen nicht, ob Giuseppe Verdi, dessen
früheste Opern in Mailand uraufgeführt wurden, diese Bedeutung von Risotto kannte
– vermutlich schon. Zweifelsohne war der Risotto aber als Reisgericht für Verdi
unverzichtbar:
Bekanntermassen wusste der Maestro alle schönen Seiten des Lebens, insbesondere die Küche seiner Heimat, sehr zu schätzen, und war selbst ein leidenschaftlicher Koch. Eine gute Küche bedarf guter Produkte, das
wussten auch bereits Verdi und seine Frau Giuseppina Strepponi. Als im November
1861 Verdis erste Reise nach St. Petersburg bevorstand (für die ursprünglich
geplante Erstaufführung von La forza del
destino), schrieb Giuseppina Strepponi an Corticelli, den Privatsekretär
der Schauspielerin Adelaide Ristori, die gerade in der russischen Hauptstadt
verpflichtet war: „Wir brauchen richtig perfekte Tagliatelle und Maccheroni, um Verdi bei guter Laune zu behalten bei der Kälte und den
Pelzen (...) Wenn die Ristori glaubt, ihn mit Tagliatelle überwältigen zu
können, wird Verdi sie wohl mit Risotto in den Schatten stellen – den
zuzubereiten versteht er wirklich göttlich.“ Neben dem Kauf von Reis,
Maccheroni, Käse und Würsten gab sie Corticelli auch Verdis Bestellung weiter,
für die drei Monate in St. Petersburg 100 kleine Flaschen Bordeaux als
Begleitung zum Essen, 20 Flaschen guten Bordeaux und 20 Flaschen Champagner zu
besorgen. Für das leibliche Wohl war also auch in der Fremde vorgesorgt.
Wie gelang es nun Verdi, seinen göttlichen
Risotto zuzubereiten? Es zirkulieren viele Rezepte für Risotto a la Giuseppe
Verdi– das bekannteste dürfte wohl das von Henri-Paul Pelaprat (1869-1952)
sein, dem französischen Koch und Verfasser des Klassikers L’Art Culinaire Moderne (dt. Der Grosse Pelaprat, Lausanne 1969),
der den klassischen Risotto mit Rahm, Tomaten und Spargelspitzen verfeinert. Sicherlich
ein schmackhaftes Gericht – aber weit davon entfernt, das originale
Verdi-Risotto wiederzugeben. Doch zum Glück wurde das Rezept des Meisters für
die Nachwelt dokumentiert. In einem Brief an Camille du Locle von der Pariser Oper, der um das Rezept gebeten hat, schreibt
Giuseppina Strepponi im Auftrag Verdis:
„Gebt in eine Pfanne zwei Unzen frische Butter; zwei Unzen Rinder- oder Kalbsmark, mit ein wenig fein geschnittener Zwiebel. Wenn diese etwas angeröstet ist, gebt sechzehn Unzen Piemonteser Reis in die Pfanne: Lässt diesen bei häufigem Umrühren mit einem Holzlöffel auf hohem Feuer gehen, bis der Reis geröstet und eine schöne goldene Farbe angenommen hat. Nehmt kochende Brühe, aus gutem Fleisch, und gebt zwei bis drei Schöpflöffel davon zum Reis. Wenn die Hitze ihn nach und nach austrocknet, jeweils etwas Brühe nachgiessen, bis der Reis perfekt gegart ist. Denkt aber daran, zur Hälfte der Kochzeit (also etwa eine Viertelstunde, nachdem der Reis in die Pfanne gegeben worden ist), ein halbes Glas stillen, süssen Weisswein zuzugeben. Gebt auch, eine nach der andern, drei Handvoll geriebenen Parmesankäse dazu. Wenn der Reis fast fertig ist, nehmt eine Prise Saffran, den ihr in einem Löffel Brühe löst, gebt ihn dazu, die Pfanne vom Herd und den Risotto in eine Suppenschüssel. Wenn ihr Trüffel habt, schneidet diesen recht fein und gebt ihn über den Risotto wie Käse, sonst gebt nur Käse darüber. Abdecken und sofort servieren.“ (siehe Corrado Mingardi, La Cucina di Verdi, Milano 2013, p. 25)
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